Wenn der Anwalt aus dem Bildschirm spricht

Was? Ein neuer Blogbeitrag? Ich weiß und würde gerne mehr bloggen (und vielleicht mache ich das auch in Zukunft). Aber nach einem Jahr Rechtsprechung in Pandemiezeiten ist es an der Zeit, ein paar Gedanken loszuwerden. Beachtlich finde ich schon, dass trotz Lockdown, Reisebeschränkungen und was es nicht sonst so alles gab, die Rechtsprechung zu keinem Zeitpunkt zum Stillstand gekommen ist. Ebenfalls überrascht bin ich darüber, dass das Virus weder mich noch eine meiner Senatskolleginnen oder -kollegen erwischt hat – Ich habe ihm jede Chance gegeben (Weiberfastnacht 2020 im Kreis Heinsberg, ÖPNV-Pendeln zwischen Köln und Düsseldorf, wegen Aktenvolumen so gut wie kein Home Office). Aber zurück zur Rechtsprechung.

Blick in den Sitzungssaal mit Videoanlage
Blick in den Sitzungssaal des Senats mit Video-Einrichtung von der Richterbank aus (Foto: eigenes)

Wie es begann

Der erste Kontakt mit dem Virus kam am Karnevalsdienstag. Eine Kollegin vom Amtsgericht Erkelenz, wo ich meine Richterlaufbahn begonnen habe und seit meiner Proberichterzeit jedes Jahr Weiberfastnacht gefeiert habe, schickt mir eine WhatsApp – Nachricht mit einem Schreiben des Direktors des AG, in dem steht, das wegen des Covid-19-Ausbruchs im Kreis Heinsberg das Amtsgericht geschlossen bleibt und ein Bereitschaftsdienst eingerichtet sei. Das konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht glauben, aber so war es. Die Empfehlung des Präsidiums unseres Gerichts ließ dann nicht wirklich lange auf sich warten, keine nicht aufschiebbaren Verhandlungen mehr durchzuführen. Der Senat hat dann für den Rest des Februars (und den März) erst mal alle Termine aufgehoben und versucht, die Parteien zum schriftlichen Verfahren zu bringen.

schriftliches Verfahren = schlecht

Das hat dann erst mal gezeigt, dass die Entscheidung des Gesetzgebers, die mündliche Verhandlung zur Regel zu machen, richtig war. Missverstandene Hinweise gab es da. Und wenn – was eigentlich immer kommt – am letzten Tag der „schriftlichen Verhandlung“ noch ein Schriftsatz kommt, dann muss man doch auch noch die Gegenseite hören (und kann den Verkündungstermin nicht halten) und potentiell scheitert man dann an Fristen. Und dann war da noch unsere erste Erfahrung mit einer Videoverhandlung: Ein großer Elektronik-Konzern aus Asien hatte gegen einen anderen (asiatischen) Konzern eine einstweilige Verfügung wegen Markenverletzung erwirkt, der die aktuelle Produktlinie des Antragsgegners betraf. Und die Partei wollte unbedingt an der mündlichen Verhandlung teilnehmen. Was versucht man da, wenn Einreisen aus Asien derzeit nicht möglich sind? Klar: § 128a ZPO. Tja: Technik in der NRW-Justiz und dem OLG Düsseldorf: Wir haben 2 Säle für Videoübertragung. Und seinerzeit brauchte es auf der Gegenseite einen gleich ausgestatteten Raum – den hatte einer der weltgrößten Elektronikkonzerne allerdings nicht. Ich lasse es da mal bewenden – es ging, aber eigentlich ging es nicht.

in der Zwischenzeit…

Das Problem ist tatsächlich auch dem Minister der Justiz nicht verborgen geblieben. Der hat schon im März 2020 darauf gedrängt, dass wir alle möglichen Plattformen für § 128a ZPO nutzen können. Geführt hat das dazu, dass wir seit Januar 2021 für den OLG-Bezirk Düsseldorf 2 (in Worten: zwei) virtuelle Sitzungssäle haben. Für den Bezirk, nicht das OLG.

Mein Senat hat davon Gebrauch gemacht, sobald es möglich war, d.h. seit Januar 2021. Wir bieten die virtuelle Verhandlung seitdem allen Parteien an. Und können das auch in Zukunft tun, wenn wir – hoffentlich bald – Jitsi einsetzen können und in der ferneren Zukunft Skype for Business. Bislang hat da der Landes-CISO (=Chief Information Security Officer) im Weg gestanden. Datenschutz ist mir wichtig (warum es hier allenfalls technische Cookies gibt und die auch nur für registrierte Nutzer – außer mir also keine). Aber wenn ich Infektionsschutz gegen Datenschutz abwäge, würde ich eher dem Infektionsschutz Vorrang geben.

Läuft es?

Die kurze Antwort ist: Besser als erwartet. Klar, technisch gibt es mal Probleme. Anwältin vom Dorf mit schlechter Internetverbindung ist nicht zu verstehen – kann man lösen: Da Bild- und Tonübertragung erforderlich ist, kann man Bild über Internet, aber Ton z.B. über das Telefon herstellen. Und wenn man – wir lernen das „Neuland“ ja noch – zu kurz terminiert hat, kann eine Sitzung schon mal vor Schluss der mündlichen Verhandlung abrupt enden. Praxistipp für Kolleg:innen: Besser eine halbe Stunde länger buchen, als erwartet. Aber im großen und ganzen hat es gut funktioniert. Da die Teilnehmerzahl überschaubar ist, ist es zum Beispiel noch nicht zu Abstürzen gekommen, wie ich sie bei über das gleiche System abgewickelten Sitzungen mit knapp 40 Teilnehmer:innen regelmäßig erfahre (aber auch das bekommt man in den Griff: Einfach mal 10 Minuten Pause machen, dann geht es wieder).

Natürlich sind nicht alle Verfahren für diese Art der Verhandlung geeignet. Wenn man zum Beispiel sich ein Produkt näher anschauen muss geht das nicht wirklich. Und im einstweiligen Verfügungsverfahren muss man ja immer mit neuem Vortrag oder neuer Glaubhaftmachung in der Verhandlung rechnen. Das ist nicht immer so ganz gut, wenn man darauf reagiernen muss. Eine Lösung dafür könnte sein, Überraschungsvortrag, auf den die virtuell präsente Partei nicht reagieren kann, nach § 242 BGB unberücksichtigt zu lassen. Das sind aber Ausnahmen.

Ich habe auf Twitter auch die Sorge vernommen, wenn ein Anwalt im Saal ist und einer nicht, die Präsenz Vorteile bringe. Diese Sorge ist aber unbegründet. Ist nur ein Anwalt virtuell, füllt er den im Bild geteilten Bildschirm aus: Präsenter kann man eigentlich nicht sein.

Fazit

In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle kann man virtuell gut verhandeln. Das spart die Anreise und vor allem unnötige Kontakte, auch für das Gericht. Man merkt dem Paragraphen leider an, dass er für diese Situation nicht gedacht war. Zu bemängeln ist zum ersten, dass wir eine Videoverhandlung zwar anbieten können, aber nicht anordnen. Ergebnis ist, dass viele Anwält:innen dann doch lieber kommen, statt sich auf Technik zu verlassen. Das ist traurig und gerade derzeit eher problematisch. Und das trotz der Zusage, zu der ich jedenfalls stehe: Es wird keiner Partei zum Schaden gereichen, sich in einem solchen Fall nur virtuell zu beteiligen. Zum zweiten würde ich mir wünschen, wie meine Kolleg:innen z.B. im Vereinigten Königreich ebenfalls virtuell aus dem HomeOffice an der Verhandlung teilzunehmen. Das lässt das Gesetz aber leider bislang nicht zu.